Verfasst am 09.10.2009 18:43:22 Uhr
Warum machen wir uns immer was vor?
Ein Essay über die Aussagekraft der „Friedlichen Revolution“ in der „DDR“
Die Menschen der ehemaligen „DDR“ können „… für immer und ewig stolz sein.“, und weiter allzu auffällig betont (geradezu anbiedernd) „… danke … danke!“, so der Bundespräsident Köhler zur Jubelfeier anlässlich des Jahrestages der Friedlichen Revolution, genauer einer der zahlenmäßig größten Massendemos in der „DDR“ in Leipzig am 9.10.1989. Gut und angebracht wäre gewesen, bei dieser Gelegenheit auch gleich dem anderen deutschen Volk ein Danke entgegenzubringen. Schließlich hat jenes Volk auch einen gehörigen Anteil daran, dass der Zusammenbruch dieser „DDR“ nicht vollends in die Hose gegangen ist.
Dokumentarischen Zeugnissen und Aussagen von Beteiligten sowohl auf der Seite der Friedensgebetteilnehmer und Demonstranten als auch der Stasi, der Feuerwehr, der SED-Bezirksleitung und der Polizei zufolge, ist es nur deshalb nicht zur Eskalation und blutiger Gewalt gekommen, weil auf Seiten aller Beteiligten extreme Verunsicherung und lähmende Angst vorherrschten.
Nun will ich das heute gefeierte Ergebnis dieser besonderen Konstellation nicht schmälern oder in Frage stellen, wohl aber das Ausmaß Heldentum und die Bedeutung dessen in diesem Fall. Daraus gleich eine mit Heldenmut verzierte Friedliche Revolution zu machen, halte ich für völlig überzogen und unangebracht. Zumal es von da ab auch wieder mehrere Wochen brauchte, ehe das Regime – an dieser Stelle sollte man sehr aufmerksam aufhorchen – schlichtweg durch Aufgabe, Resignation und irritierter Planlosigkeit der Staatsmacht, und nicht etwa durch tatsächlich revolutionäre heldenmütige Handlungen seitens der demonstrierenden Massen beseitigt worden war. Dieses Regime hatte sich zwar nicht ganz von selbst erledigt, aber fast.
Dass es überhaupt soweit kommen konnte, dafür war vor allem verantwortlich, dass die Führung dieser „DDR“ keine Rückendeckung aus der Sowjetunion mehr hatte. Diesmal hätte die Drecksarbeit das deutsche Volk unter sich selbst erledigen müssen. Und auf der Bezirksebene waren die Versallen des Politbüros auch nicht bereit, die Verantwortung eines Blutbades zu übernehmen. Sind sie doch von den Gesinnungsgenossen in Berlin geradezu schmählich im Stich gelassen worden! Keiner von denen, egal auf welcher Ebene, war überhaupt bereit, für das, woran sie alle beteiligt waren und angerichtet hatten, jemals Verantwortung zu übernehmen. Das war schon charakterlich bedingt.
Die Definition des Begriffs „Revolution“ ist so verworren wie unzuverlässig und uneins. Dennoch, wenn wir einige wesentliche Merkmale für das Zutreffen einer Revolution hernehmen, stellt sich mir die Frage, warum ausgerechnet Historiker, Politikwissenschaftler und Soziologen sich dafür hergeben, die Ereignisse am 09.Oktober 1989 in Leipzig unbedingt als bereits stattgefundene „Revolution“ zurecht zu biegen und somit sich an einer Geschichtsdeformierung beteiligen. Immerhin hat weder eine Totaländerung der staatlichen Ordnung noch die Einführung eines neuen politischen Systems und der personale Wechsel der Inhaber der Staatsgewalt stattgefunden. Die Entmachtung des bestehenden Machtapparates hat bekanntlich erst Monate später eingesetzt – und das nicht einmal gründlich genug. Nach meinem Verständnis von Realität, von Wirklichkeit, ist diese „Friedliche Revolution“ lediglich eine nach den Wünschen einer kleinen „Interessengemeinschaft“ errichtete Konstruktion, die dazu dient, dem Volk etwas vorzumachen, was nicht wirklich stattgefunden hat.
Diese Revolution war nichts anderes, als eine Massendemonstration, die zwar aus ganz konkreten Gründen (nicht zufällig) friedlich ausgegangen ist, aber keinerlei Veränderungen der staatlichen Gewalt und die Enthebung der diese Gewalt innehabenden Personen zur Folge hatte. Am nächsten Tag dieser vermeintlichen Revolution war alles beim alten! Die „DDR“ war immer noch da!
Im Jahr 1953 waren es noch die Russen, die gegen die revoltierenden Deutschen aufmarschiert sind und letztlich mit blutiger Gewalt jeden Widerstand gebrochen und brutal niedergeschlagen haben. Und die konnten auch dafür verantwortlich gemacht werden. 1953 standen russische Soldaten den aufständischen Deutschen gegenüber.
1989 war das völlig anders. Total perfide: Hier sollten erstmals deutsche Landsleute, Eltern und deren Kinder, sich gegenseitig abschlachten, wenn sie sich dazu hätten aufraffen können. Konnten sie zum Glück jedoch nicht. Das Ergebnis war eine vermeintliche „Friedliche Revolution“, ehrlicher: ein friedlicher, ein erfreulicher Ausgang eines unkalkulierbaren Abenteuers. Und die Hauptantriebskraft dazu war extreme Angst im Verbund mit einer gehörigen Portion Verzweiflung! Auf beiden Seiten. Der Mythos „Friedliche Revolution“ lässt sich demzufolge schlicht und ergreifend auf ein weniger heldenhaftes, dafür umso mächtigeres, menschliches Gefühl zurückführen: Angst und Verzweiflung. Respekt ja, aber Anerkennung als Heldenmut kann ich den beteiligten Menschen beim besten Willen nicht zollen.
Unsere Gesellschaft täte besser daran, diesen erfreulichen Teil unserer deutschen Geschichte nicht so betont selbstbeweihräuchernd zu glorifizieren, um es, einem gewissen Wunschdenken folgend, in diese angenehme Richtung hinzubiegen. 40 Jahre Willfährigkeit (mit einer kurzen Unterbrechung 1953 durch vor allem Arbeiter) und feiges Kuschen als opportune Verhaltensweise des Volkes lassen sich nun mal nicht durch einpaar Monate Friedengebete und Massendemos aus unserem Geschichtsatlas auslöschen. Und diese jahrzehntelang praktizierte Feigheit, Unaufrichtigkeit, moralische Verwahrlosung sollte uns Anlass sein, die Ereignisse des Jahres 1989 nicht dazu herzunehmen, um die Helden zu spielen und sich so über die Wahrheit des eigenen Ichs zu stellen. Demut wäre angebracht; Demut und Dankbarkeit über den glücklichen Ausgang eines geschichtlichen Ereignisses, das ohnehin unaufhaltsam war, weil eh fremdbestimmt. Fremdbestimmt dadurch, weil die Russen Ostdeutschland aus noch zu klärenden Gründen fallen gelassen hatten, wie eine heiße Kartoffel.
In dem TV-Beitrag „Das Wunder von Leipzig“, am 09.10.09 vom MDR ausgestrahlt, hörte ich den Sprecher an der Stelle des Berichtes, wo nur am Rande die Tausenden Botschaftsflüchtlinge und (abwertend) provozierende Ausreisewillige erwähnt wurden sagen: „… Flucht ist für sie keine Lösung.“ – „Sie“, das waren die Demonstranten, die Montagsbeter und die durchaus mutigen, aber wenigen Organisatoren von Zusammenkünften. – „… Flucht ist für sie keine Lösung.“, wovon eigentlich? Es ist doch bekannt, was „Sie“ in Wirklichkeit wollten. Diese Leute wollten diese „DDR“ behalten und reformieren. Nichts da mit Wiedervereinigung! Sie wollten der ostdeutschen Bevölkerung erneut ein „sozialistisches“ Regime aufzwingen, diesmal das eigene, nämlich in Form eines Experimentes, mit mehr Freiheiten. Diese Tatsache – den Fortbestand der „DDR“ angestrebt zu haben – wird heute beflissentlich ausgeblendet. So kann man Geschichte auch klittern.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aber machte sich unmissverständlich auch an der Wiedervereinigung Deutschlands fest. Darin war in keinster Weise vom Fortbestand zweier Deutscher Staaten die Rede. Also noch ein Argument dagegen, diese angeblich „Friedliche Revolution“ dermaßen zu verherrlichen. Mit wirklichem, fraglosen Ruhm haben wir uns mitnichten bekleckert.
Und wenn ein Moderator im TV anlässlich der Verleihung des Friedensnobel-Preises an den amerikanischen Präsidenten Barack Obama im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Feierlichkeiten zum Jahrestag der „Friedlichen Revolution“ in Leipzig es auf die Spitze treibt und überschwänglich anmerkt, die Ostdeutschen seien doch eigentlich auch alle Friedensnobelpreisträger, dann ist eine solche Äußerung für mich so anmaßend wie unerträglich, weil völlig hirnrissig. So wächst unser Volk bestimmt nicht zusammen.
Was in Berlin am Silvester 1989/90 gefeiert wurde, hat in Leipzig begonnen? Wieder solch eine irreführende Behauptung. Da gibt es nämlich noch, neben den eigentlichen Gründen für das Verschwinden der „DDR“, die mutigen, jedes denkbare Risiko auf sich genommenen und stets unbeachtet bleibenden Ausreiseantragsteller, die lange vor dem Zusammenklappen des SED-Blockparteien-Regimes das System herausgefordert und damit aufgeweicht hatten.
Noch einmal: Wir Deutsche sollten uns in Demut daran erfreuen, die Teilung Deutschlands endlich überwunden zu haben. Und daran beteiligt waren wir alle, dass gesamte deutsche Volk. Wenn überhaupt, können wir alle, in Ost und West darauf „… für immer und ewig stolz sein.“
Klaus R.